Die öffentlichen Kassen sind leer

Zunächst sollen einmal die Zahlen und Fakten sprechen. Im vorangegangenen Kapitel finden sie bereits in Graphik 3 die tatsächliche Ist-Entwicklung der Einnahmen der sogenannten Gebietskörperschaften in Deutschland. Das macht es zunächst einmal erforderlich, eine finanzwirtschaftliche Abgrenzung dessen vorzunehmen, was in der ALLTAGSKOMMUNIKATION als „SEKTOR STAAT“ bezeichnet wird. Kaum ein Begriff in unserem Sprachgebrauch ist von so vielen Missdeutungen und Interpretationen umgeben wie dieses Wort „STAAT“. Es wird häufig so kommuniziert und argumentiert, als wenn ‚der Staat‘ etwas „greifbares, an fassbares“ wäre. So wie Herr Jupblich aus Sejentausen, Goethestr. 7, oder wie Frau Darnejes aus Conkjdorf, Schillerstr. 8, oder wie. Nur, das ist ‚der Staat‘ leider nicht.

 

Vielmehr handelt es sich im Sprachgebrauch um eine leere Worthülse, mit der jede Diskussion und Argumentation erledigt ist, sobald sie in die Diskussion eingebracht wird. Fängt man in einer Gruppe an finanzwirtschaftliche Zusammenhänge zu erklären, zu erläutern, ist garantiert ein Teilnehmer/Teilnehmerin dabei, die messerscharf feststellen: „Ja, wenn doch erst die da Oben“ oder „der Staat müsste mal“ oder „und da ist die Politik in der Verantwortung das zu ändern“ und schon kann man nicht mehr sachlich argumentieren. Die Diskussion verläuft im Sande bevor sie überhaupt begonnen hat. Deshalb zunächst eine kurze und vereinfachte Darstellung, was in der wissenschaftlichen Literatur mit dem Begriff „Staat“ gemeint ist. Das Wort „Staat“ umfasst die beiden Unterbegriffe „Gebietskörperschaften“ und „sonstige fiskalische Hoheiten“. Im Einzelnen kann man folgende Institutionen diesen Unterbegriffen zuordnen – wie das nachfolgende Schaubild zeigt.

 

Gebietskörperschaften

 

Sonstige fiskalische Hoheiten

 

Nicht zu vergessen bei den Gebietskörperschaften natürlich noch die „EU“. Schließlich stammen ca. 75% aller Gesetzesvorlagen im Deutschen Bundestag von der Europäischen Union. Im Folgenden werden nur die Gebietskörperschaften behandelt. Also diese Institutionen, deren überwiegende Einnahmequelle Zwangsabgaben in Form von Steuern sind. Und nur diese ‚Einnahmen bzw. Defizite‘ werden wiederum behandelt. Würde man das Finanzierungs- gebaren aller Institutionen im Sektor „Staat“ behandeln, dann wäre leicht der Umfang dieses Buches gesprengt. Stellvertretend für alle Jahrgänge seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland wird ‚nur‘ der Zeitraum von 1970 bis 2010 dargestellt und der Trend bis 2015. Natürlich hat sich an dieser Entwicklung inzwischen NICHTS geändert; und auch die Jahrzehnte zuvor zeigen das gleiche Bild. Es ist jetzt eine Frage ob Sie, sehr geehrter Leser, das akzeptieren können oder ob Ihre Vorstellung von der Einkommensentwicklung der öffentlichen Hand mehr von ‚Memen‘ dominiert wird als von ‚Faktenwissen‘.

 

Steuereinnahmen gesamt und im Trend von 1970 bis 2015

 

Grafik Steueraufkommen

 

Das Ergebnis ist mehr als eindeutig. Die Steuereinnahmen der öffentlichen Hand steigen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt an. Gleichzeitig klagen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die in diesen Institutionen arbeiten, dass Sie „kein Geld haben“, „ständig sparen müssen“ und immer und das immer wieder „gekürzt“ wird. Ja, es hat sich schon eingebürgert von ‚SPARHAUSHALTEN‘ zu reden, obwohl kein Mensch eigentlich weiß, was darunter (wissenschaftlich) zu verstehen ist. Um hinter dieses Gerede von „die öffentlichen Kassen sind leer“ zu kommen, muss man sich zunächst das Buchführungssystem der Öffentlichen Hand anschauen und dann in die Psychologie des Selbstwertgefühls gehen. Auch hier ist – ähnlich wie mit dem Begriff „Wirtschaft“ (Volkswirtschaft versus Betriebswirtschaft) - Buchführung nicht gleich Buchführung.

 

Wenn marktwirtschaftlich geführte Unternehmen Buchführung vornehmen, dann erstellen sie daraus eine Bilanz und eine Gewinn- und Verlustrechnung. Diese beiden Instrumente unterscheiden sich fundamental voneinander. Während die Bilanz die sogenannten ‚Bestandsgrößen‘ enthält, die am Jahresende auf den Jahresanfang fortgeschrieben werden, umfasst die Gewinn- und Verlustrechnung eines Unternehmens die sogenannten ‚Stromgrößen‘. Hierbei handelt es sich um die jährlich anfallenden Umsätze einer Periode und die Kosten dieser Periode. Beide Größen werden am Ende eines Jahres auf null gestellt, während die Differenz zwischen beiden – das ist die Regel (und nicht ‚hin und wieder‘ wie viele Bundesbürger glauben) – der Gewinn, in das Eigenkapital der Bilanz wandert.

 

Nun, die Buchführung der öffentlichen Verwaltungen unterscheidet sich von dieser Buchführung so fundamental, wie ein Flugzeugträger des 21. Jh. von einer Kogge des Mittelalters. Die (sogenannte) kamerale Buchführung kennt nämlich nur die einfache Stromrechnung in Form von Einzahlungen und Auszahlungen. Es gibt keinerlei Abgrenzungen zu anderen Perioden, wie z.B. Forderungen und Verbindlichkeiten, aktive oder passive Rechnungsabgrenzungsposten, Rückstellungen oder Abschreibungen und mehr. Infolgedessen ist dieses Buchführungssystem nur sehr bedingt aussagefähig, was die Finanz-, Vermögens- und Liquiditätslage von öffentlichen Verwaltungen betrifft. Zwar bemüht man sich in diesen Verwaltungen seit der Innenministerkonferenz vom 21. Nov. 2003auch die doppelte Buchführung in den Verwaltungen einzuführen. Aber deren Ergebnisse dürften ebenso dürftig bleiben, wie dies bei der kameralen Buchführung der Fall ist.Hauptbestandteil, auch dieser ‚sogenannten‘ neueren Buchführungsform, ist und bleibt der Haushaltsplan jeder dieser öffentlichen Institutionen. Und damit sind wir beim wichtigsten und zugleich widersprüchlichsten Instrument angelangt, das wir in der Buchführung kennen.

 

Vorab noch ein Hinweis, bevor wir in die Problematik einer jährlichen Haushaltsplanung einsteigen. In Deutschland leben z.Zt. ca. 82 Mio. Einwohner. Von dieser Anzahl arbeiten – nach unterschiedlichen Zahlenangaben – ca. 7 Mio. Menschen direkt oder indirekt in öffentlichen Verwaltungen bzw. hatten damit etwas zu tun (z.B. als heutige Pensionäre). Und welche Einstellungen und Vorstellungen diese 7 Mio. Menschen zum Thema ‚Staatseinnahmen und Staatsausgaben‘ haben, diese Einstellung dominiert das Denken der übrigen 75 Mio. Einwohner dieser Republik. Und diese hinterfragen diese Einstellungen nicht, sondern sie nehmen sie als ‚von Oben gegeben‘ hin (da könnte man auch sagen‚ als von Gott gewollt). Ohne auch nur im Ansatz kritisch zu reflektieren, ob und wieweit Aussagen dieser Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen etwas mit „Wahrheit“ zu tun haben. Damit nun zum technischen Ablauf einer solchen Haushaltserstellung.

 

Im II. Quartal eines laufenden Haushaltsjahres bittet der Finanzdezernent, Finanzminister, Finanzsenator – oder wie immer die Titel auch lauten – seine Fachdezernate, ihm den Finanzbedarf des zukünftigen Jahres zu melden. Nun wird der Baudezernent, Ordnungsdezernent, Bildungsminister, Wirtschaftsminister – und wie immer auch diese glorreichen Worterfindungen heißen – seinem Finanzdezernenten mitteilen, wie viel finanzielle Mittel er im kommenden Jahr benötigt. Was glauben Sie wird ein Fachdezernent, z.B. der Baudezernent einer Kommune, Stadt, eines Landes seinem Finanzdezernenten mitteilen?  Er wird sich dabei an den Ausgaben des Vorjahres orientieren und noch etwas draufsetzen. Ob er das braucht ist ja egal – Hauptsache erst einmal mehr. Auf dem nachfolgenden Zeitstrahl ist diese Entwicklung noch einmal chronologisch dar-gestellt. Es macht sich gut, wenn man die bisherigen und neuen Aussagen mit dieser Zeitachse einmal verfolgt.

 

Zeitstrahl Haushaltsaufstellung

 

Angenommen, wir haben eine Kommune in Deutschland, bei der genau dieser Prozess im II. Quartal eines Jahres abläuft und angenommen wir hätten ein Dezernat für ‚Bauwesen‘ o.ä. Der Leiter dieses Dezernates kommt nun morgens (oder mittags) in sein Büro und findet dort das Schreiben seines Finanzdezernenten. Was glauben Sie, wird er als erstes für eine Antwort haben?

 

Er überlegt: Was hatte ich denn letztes Jahr (also jetzt im laufenden Jahr) für einen Etat? Nun sagen wir, es wären so 85 Mio. € gewesen.

Und seine Antwort jetzt: 95 Mio. €

 

Ist doch ganz klar. Er wurde ja nicht gefragt, welche Projekte er nächstes Jahr abwickeln will. Nein – die Antwort ist formal richtig. Aber inhaltlich so falsch, dass Mis(t)managment noch eine gelinde Umschreibung ist. Und das ist die zentrale Ursache der Staatsverschuldung. Solange sich diese Einstellung nicht ändert, solange werden wir es mit Staatsverschuldung zu tun haben. Interessant ist an dieser Stelle ja, dass diese Einstellung in allen Kreisen der Bevölkerung verbreitet ist, nicht nur bei den Angestellten im öffentlichen Dienst. Nein – alle Berufsgruppen und Bevölkerungsschichten denken so. Manchmal findet sich auch jemand, der einen anderen Ansatz bevorzugt. Aber das sind absolut die wenigsten – zeigt aber gleichzeitig: Es ist möglich!

 

Zurück zu dem Zeitstrahl.

Nachdem jetzt der Baudezernent seine Haushaltsansätze abgegeben hat, geschieht in unserer Republik etwas Besonderes. Es beginnt eine rege Reisediplomatie. Da werden Besprechungs-termine vereinbart, Geschäftsreisen gebucht, Hotelreservierungen vorgenommen, Arbeitsessen organisiert - und was sie sich so alles vorstellen können (und sie sollten sich eine Menge vorstellen dabei – insbesondere die Männer!). Nach Wochen und Monaten gibt es ein Ergebnis dieser ‚Pseudoaktivitäten‘, das eigentlich schon am Tage nach der Rückmeldung klar war. Diese Verhandlungen – im offiziellen Sprachjargon wird das vornehm als ‚Haushalts-beratungen‘ betitelt – dauern genau so lange, wie der Haushalt noch benötigt, um seine parlamentarische Zeit der Bewilligung zu durchlaufen um rechtzeitig genehmigt zu werden. Bis auf den letzten Tag genau. Dann, ja dann gehen aus diesen Verhandlungen zwei Sieger hervor.

 

Man/frau einigt sich jetzt auf 90 Mio. € und hat zugleich zwei „Sieger“ die aus diesen anstrengenden, oftmals bis in die Nacht hinein dauernden Verhandlungen hervorgehen:

 

Der Finanzdezernent klopft sich auf seine Schulter und sagt: „Dem habe ich es aber gezeigt. Der wollte 95 Mio. € und ich habe ihn auf 90 Mio. € heruntergehandelt – also eingespart.“

 

An dieser Stelle ist ganz wichtig einzuschätzen, was der Absender dieser Information unter ‚Eingespart’ versteht und was SIE unter ‚Sparen’ verstehen! Der Baudezernent klopft sich auf seine Schulter und sagt: „Dem habe ich es aber gegeben. Hatte in der letzten Periode 85 Mio. € und bekomme jetzt 90 Mio. €.“ Auch wenn 5 Mio. gekürzt worden sind (Kürzungen).

 

Zwei Sieger wie gesagt. Und Sie – lieber Steuerzahler – Sie bezahlen diesen Unsinn mit ihren Steuergeldern Diese Verhandlungen werden Ihnen dann als ‚Sparmaßnahmen‘ und ‚Kürzungen’ verkauft.  Aber: Wird denn da wirklich gespart und gekürzt? Das hat doch mit den Begriffen ‚SPAREN und KÜRZUNGEN‘, wie Sie sie kennen, nichts zu tun. Da ist doch nicht absolut gespart oder gekürzt worden. Absolut hat dieser Fachdezernent doch mehr. Könnte es sein, dass wir hier ein Kommunikationsproblem haben? Kein volkswirtschaftliches Phänomen, sondern ein psychologisches! Und wieder finden wir bestätigt, was in anderen Kapiteln dieses Buches immer wieder auf-taucht. Wir kommunizieren aneinander vorbei. Es geht doch gar nicht um absolut weniger, nur die Zuwächse werden verhandelt. Nicht die tatsächliche Höhe.

 

Allein durch die unterschiedliche Kommunikation einsteht ein Bild der Realität, die SO objektiv gar nicht gegeben ist. Und das sind dann die ‚leeren Kassen‘? Da das Mehr an (Ausgabe-)Volumen gegenüber dem Vorjahr aber mit dem Zuwachs der tatsächlichen Einnahmen NICHT übereinstimmt – deshalb haben wir die Staatsverschuldung zu verwalten. Ist ja interessant. Es ist nicht die Arbeitslosigkeit, die diese Staatsverschuldung hervorgebracht hat – es ist die Einstellung der Mitarbeiter (und nicht nur in diesen Institutionen), die diese Staatsverschuldung erzeugt hat. Das nachfolgende Zitat stammt von einer leitenden Mitarbeiterin im öffentlichen Sektor, die dieses Wort „Sparen“, von Verwaltungsmitarbeiter gebraucht, in unsere Allgemeinsprache übersetzt:

 

 „Öffentlich-rechtliches Sparen heißt doch, prozentual etwas niedrigere Kostensteigerungen anzumelden als im Vorjahr – das ist kein Sparen", sagte sie.

 

Aber: Warum handeln die Mitarbeiter so?

 

Nun, das hat wiederum etwas mit unserem Selbstwertgefühl bzw. der Delle im Selbstwertgefühl zu tun wie folgende Überlegung zeigt:

 

Je höher das Haushaltsvolumen eines Dezernatsleiters ist, desto größer ist doch auch:

 

Es ist schon erstaunlich, dass ein halbwegs gebildeter Mitteleuropäer ab einer bestimmten Haushaltsgröße plötzlich nicht mehr Auto fahren kann – dann braucht er nämlich einen Chauffeur.

 

Und jetzt stellen Sie sich einmal vor, welche psychologische Wirkung das auf einen Dezernenten ausübt, wenn er statt MEHR, WENIGER haben wollte. Das würde doch bedeuten, dass dieser Mitarbeiter dann auch

 

Nur: Dann würde er ja Image und Statussymbole abgeben. So klein und minderwertig ist sein Selbstwertgefühl, dass Er/Sie das NIE machen würden.

 

Als Volkswirt sehe ich in dieser Einstellung DIE Ursache der Staatsverschuldung. Und wenn es nicht gelingt diese Einstellung zu ändern, haben wir eben eine (oder DIE) Staatsverschuldung.